Plädoyer für ein flächendeckendes Darmkrebsscreening
In Österreich ist das Thema Darmkrebsprävention und -screening seit längerem ein viel diskutiertes Thema. Anders als in anderen europäischen Ländern gibt es hierzulande noch kein flächendeckendes Darmkrebs-Screeningprogramm als Vorsorgeinstrument. Weniger wegen eines fehlenden fachlichen Bewusstseins, vielmehr aufgrund von divergierenden Interessen innerhalb des österreichischen Gesundheitssystems. Dass es auch anders möglich ist, zeigen Vorreiter wie Deutschland, wo seit über zwanzig Jahren ein flächendeckendes Darmkrebs-Screening auf Kassenleistung angeboten wird. Im Rahmen der UEG Week, dem größten gastroenterologischen Fachkongress in Europa, der vom 12.-15. Oktober in Wien stattfindet, tauschen sich österreichische Fachexpertinnen und -experten mit Vertreterinnen und Vertretern aus Versorgung, Gesundheitspolitik und Patientinnen-Organisationen über Best-Practice-Beispiele und Erfahrungen aus. Unter anderem mit dem Ziel, auch in Österreich in naher Zukunft ein flächendeckendes Darmkrebsscreening zu implementieren.
2000-2019: 19 % mehr Todesfälle aufgrund von Darmkrebs in Europa
Langzeitstatistiken aus dem White Book 2 der UEG zeigen, dass Krankheiten im Verdauungstrakt in den letzten Jahren drastisch zunahmen, mit ernstzunehmenden Konsequenzen:
- 26 % Anstieg der Neuerkrankungen bei den häufigsten Krebserkrankungen der Verdauungsorgane.
- Diese sind für ein Drittel aller krebsbedingten Todesfälle in den UEG-Mitgliedsländern verantwortlich.
- Den höchsten Anteil darunter nimmt Darmkrebs ein, dessen Inzidenz von 2000-2019 einen Anstieg von über 33 % verzeichnet und der 2019 um mehr als 19 % mehr Menschen das Leben kostete als noch im Jahr 2000.
Alarmierende Zahlen auch in Österreich
Auch in Österreich sind die Zahlen alarmierend: 2019 waren über 20.000 Frauen und über 23.000 Männer mit Darmkrebs diagnostiziert (Prävalenz), etwa 5.000 davon waren Neudiagnosen und mehr als 2.500 verstarben an der Krebserkrankung. Zu den Hauptursachen zählen vor allem lebensstilbedingte Risikofaktoren wie eine einseitige, ballaststoffarme, zu fett- und salzreiche Ernährung, ein hoher Alkohol- und Nikotinkonsum, Übergewicht und Bewegungsarmut. In der Prävention liegt der größte Hebel allerdings in der Vorsorgekoloskopie, mit der Darmkrebs vielfach verhindert oder zumindest früh erkannt werden kann. Früherkennung verbessert die Heilungschancen bei Darmkrebs drastisch, spart zudem Leid für Betroffene sowie Kosten für das Gesundheitssystem.
Alle Player im österreichischen Gesundheitssystem gefordert
Das Nationale Screening-Komitee, die Österreichische Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH), die Österreichische Krebshilfe und zahlreiche weitere Stakeholder fordern unisono die Implementierung eines nationalen, qualitätsgesicherten, populationsbezogenen Kolonkrebs-Screenings ab 45 Jahren; bisher scheiterte es jedoch an der finalen Umsetzung eines solchen. Weniger aufgrund von mangelnder wissenschaftlicher Evidenz oder fehlendem Bewusstsein, vielmehr aufgrund von divergierenden Interessen der Player im österreichischen Gesundheitssystem sowie den unterschiedlichen Herangehensweisen vieler Bundesländer – Stichwort Föderalismus. Mit einem derartigen Anstieg der Sterblichkeit zwischen 2000 und 2019 ist die Dringlichkeit für Österreich, ein nationales Darmkrebsscreening-Programm umzusetzen, heute größer denn je.
UEG-Week: Europäischer Gastroenterologie-Kongress tagt in Wien
Im Zuge der UEG-Week vom 12.-15. Oktober 2024 in Wien treffen über 12.000 Expertinnen und Experten aus mehr als 120 Ländern zusammen, um die neuesten Erkenntnisse aus der Forschung und Wissenschaft zu präsentieren und diskutieren. Österreichische Fachexpertinnen und -experten, insbesondere Vertreterinnen und Vertreter der medizinischen Fachgesellschaft ÖGGH, nutzen den Kongress für ein Aufhorchen sowie als Appell an die österreichische Gesundheitspolitik. Rund um das Thema Darmkrebsprävention und -screening werden insbesondere Best-Practice-Beispiele und innovative Lösungsansätze anderer Länder geteilt. Wichtigstes Ziel ist es, auch in Österreich ein vollumfängliches Darmkrebspräventions- und -screeningprogramm zu implementieren und damit die hohe Erkrankungs- und Sterblichkeitsrate zu reduzieren. Alle Informationen zur UEG-Week finden sich hier: https://ueg.eu/week
Zitate:
Mag.a Dr.in Christina Dietscher, Leiterin Abteilung „Nicht übertragbare Erkrankungen und psychosoziale Gesundheit“, BMSGPK: „Unsere Bevölkerung wird immer älter, was die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung im Laufe des Lebens steigen lässt. Krebsfrüherkennung und -vorsorge können wesentlich zu Lebensdauer und Lebensqualität Betroffener beitragen. Eine wichtige Aufgabe des Gesundheitsressorts ist es, die Rahmenbedingungen für Prävention und Früherkennung gemeinsam mit Expertinnen und Experten festzulegen, mit dem Ziel einer besseren Koordination der bereits bestehenden Aktivitäten und Initiativen sowie einer qualitätsgesicherten Versorgung zum Wohle der österreichischen Bevölkerung. Daher wird auch seitens des BMSGPK, basierend auf Empfehlungen des Nationalen Screening-Komitees auf Krebserkrankungen, an der Vorbereitung eines organisierten Darmkrebs-Screeningprogramms in Österreich gearbeitet.“
Ing.in Evelyn Groß, Präsidentin Österreichische Morbus Crohn / Colitis ulcerosa Vereinigung: „Durch den ständigen Austausch mit Betroffenen von Chronisch Entzündlichen Darmerkrankungen und deren Angehörigen erkennen wir die Dringlichkeit eines umfassenden Darm-Vorsorgeprogramms und -screenings in ganz Österreich. Nicht nur wir als Zugehörige einer Risikogruppe profitieren davon, auch die Allgemeinbevölkerung ab 45 Jahren und das Gesundheitssystem.“
Prim. Univ-Prof. Dr. Harald Hofer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie & Hepatologie (ÖGGH): „Die wissenschaftlichen Grundlagen sind klar gegeben. Werden Polypen als mögliche Vorstufe von Darmkrebs im Zuge einer Darmspiegelung erkannt und auch entfernt, kann Darmkrebs verhindert werden. Das ist ein großes Privileg im Vergleich zu anderen Krebsarten. Als medizinische Fachgesellschaft fordern wir dringend eine flächendeckende Umsetzung eines Screening-Programms für alle zwischen 45 und 75 Jahren, weil damit viele Menschenleben gerettet werden können.“
Doris Kiefhaber, Geschäftsführerin Österreichische Krebshilfe: „Dass sich alle relevanten Player darüber einig sind, dass ein organisiertes Darmkrebs-Früherkennungsprogramm raschest eingeführt werden muss, ist erfreulich. Nicht erfreulich ist, dass es offenbar nicht einheitlich in ganz Österreich organisiert und umgesetzt wird. Das erschwert in jedem Fall die Kommunikation und Bewerbung des Programms. Aus jahrzehntelanger Erfahrung wissen wir jedoch, wie wichtig es ist, klar und einheitlich zu kommunizieren, damit die Botschaft zur Wichtigkeit einer Darmkrebsvorsorge bei der Bevölkerung ankommt.“
Dr. Andreas Krauter, MBA, Leiter Fachbereich Medizinischer Dienst Österreichische Gesundheitskasse: „Die Vorsorgekoloskopie ist eine der Vorsorgemöglichkeiten, die in einem Akt Diagnostik und Therapie von vielen Darmerkrankungen frühzeitig ermöglicht. Selbst wenn frühzeitig ein bösartiger Tumor entdeckt wird, können rechtzeitig therapeutische Schritte eingeleitet werden, die eine Heilung ermöglichen. Daher ist jede Österreicherin/jeder Österreicher aufgerufen, diese Möglichkeit zu nutzen. Die ÖGK bekennt sich zu den europaweit üblichen Erkenntnissen und weist darauf hin, dass das Nutzen dieser Möglichkeit schweres persönliches Leid verhindert, für die einzelnen Betroffenen als auch die Familien und dass damit natürlich auch die stetig steigenden Kosten der Gesundheitsversorgung besser genutzt werden können.“
Prof. Dr. Thomas Theodor Seufferlein (Mitglied der UEG Public Affairs Group, Universitätsklinikum Ulm): „Die Bündelung von Wissen und Erfahrung auf einem Kongress wie der UEG Week ist von unschätzbarem Wert. Zahlreiche internationale Expertinnen und Experten teilen ihre Erkenntnisse zu Darmkrebsvorsorge und Screeningprogrammen und liefern wertvolle Impulse für deren Umsetzung in verschiedenen Ländern. Dabei dürfen wir nicht nur die Qualitätssicherung im Screeningprozess betonen, sondern müssen gleichermaßen darauf achten, lebensstilbedingte Risikofaktoren wie ungesunde Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel zu adressieren. Beides – hochwertige Screeningprogramme und ein gesunder Lebensstil – sind entscheidende Hebel, um die Inzidenz und Mortalität von Darmkrebs langfristig zu senken.“
[1] UEG - United European Gastroenterology
[2] Rose TC, Pennington A, Kypridemos C, Chen T, Subhani M, Hanefeld J, Ricciardiello L, Barr B. Analysis of the Burden and Economic Impact of Digestive Diseases and Investigation of Research Gaps and Priorities in the Field of Digestive Health in the European Region – White Book 2: Executive Summary. United European Gastroenterol J. 2022; 1-6. doi.org/10.1002/ueg2.12298
[3] Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Evidenzgrundlagen und Empfehlungen zur Einführung eines organisierten Darmkrebs-Screening-Programms in Österreich. Arbeitsdokument des Screening-Komitees für Krebserkrankungen. PDF online verfügbar: ww.sozialministerium.at - Entscheidungsgrundlage Darmkrebs-Screening (07.10.2024).
[4] Wiener Gesundheitsverbund (2024): Darmkrebsmonat März: Zahlen, Daten & Fakten. URL: https://gesundheitsverbund.at/darmkrebs-monat-maerz-zahlen-daten-fakten, Seite 14. (07.10.2024).
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